Rede von Frau Dr. Barbara Distel am 19.11.2018 | Anna-Pröll-Mittelschule Gersthofen:

 

 

Für Anni Pröll

 

 

 

Ich bedanke mich für die Einladung heute hier anlässlich der Namensbenennung der Mittelschule Gersthofen nach der Widerstandskämpferin Anna Pröll an sie erinnern zu dürfen. Ich freue mich sehr über diese Entscheidung, deren Zustandekommen ja nicht einfach war und ich empfinde es persönlich als große Ehre über Anna Pröll sprechen zu dürfen.

 

 

 

Anna Pröll ist nur wenige Wochen vor ihrem 90. Geburtstag gestorben und dank ihres langen Lebens konnte sie den gesellschaftlichen Wandel in der Bundesrepublik Deutschland im Hinblick auf den öffentlichen Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit noch erleben. Nach Jahrzehnten des Schweigens und Verdrängens hatte sich schließlich ein breites Interesse an der Geschichte der nationalsozialistischen Verbrechen und auch am Schicksal der Opfer und Gegner der Diktatur entwickelt. Anna Pröll war dann auch schon über 80 Jahre alt als sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet und drei Jahre vor ihrem Tod als einzige Frau Ehrenbürgerin ihrer Heimatstadt Augsburg wurde.

 

 

 

Geboren wurde Anna Pröll am 12. Juni 1916 in Augsburg-Pfersee mitten im 1. Weltkrieg als die Kriegsbegeisterung längst verflogen war und die Bevölkerung zunehmend Mangel litt. Die Kriegserlebnisse ihres Vaters Karl Nolan waren Anlass für seine politische Tätigkeit nach seiner Heimkehr, die er schließlich im Konzentrationslager Dachau mit seinem Leben bezahlte. Als er 1932 zum ersten Mal wegen Wehrkraftzersetzung verhaftet und verurteilt wurde, war die damals 16jährige Anna ihrerseits bereits im kommunistischen Jugendverband aktiv.

 

Als dann im Jahr 1933 die gnadenlose Verfolgung der politischen Gegner durch die nationalsozialistischen Machthaber begann, traf sie die gesamte Familie. Selbst die Mutter Annas wurde als Mitglied der Roten Hilfe 1933 verhaftet und wochenlang festgehalten. Anna war zu dieser Zeit Mitglied einer Jugendgruppe, die in Augsburg Flugblätter gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft verteilte. Bereits am 1. September 1933 wurde sie verhaftet und wegen Vorbereitung zum Hochverrat vor Gericht gestellt und zu 21 Monaten Gefängnis verurteilt. Nach einer Verurteilung zu Dunkelarrest, der sie körperlich sehr schwächte, kam sie für kurze Zeit in das Münchner Zuchthaus Stadelheim und von dort in das erste Frauenkonzentrationslager Moringen. Sie war die Jüngste der damals im Vergleich zu den Männern noch relativ kleinen Gruppe der aufgrund politischer Aktivitäten verhafteten Frauen. Ihre älteren Mitgefangenen halfen und unterstützten Anna in diesen schweren Jahren – „unser Nesthäkchen“ wie die sieben Jahre ältere Centa Beimler sie nannte, die als Ehefrau des kommunistischen Reichstagsabgeordneten Hans Beimler verhaftet worden war.

 

„Diese Solidarität prägte mich für mein ganzes Leben“ sagte Anna Pröll später.

 

Nach ihrer Entlassung im Jahr 1937 kehrte sie nach Augsburg zurück, wo sie sich täglich bei der Gestapo melden musste. Sie heiratete heimlich Josef Pröll, der ebenfalls bereits KZ-Haft hinter sich hatte und bei Kriegsbeginn erneut verhaftet und ins Konzentrationslager verschleppt wurde. Er konnte nach insgesamt acht Jahren KZ-Haft in mehreren Konzentrationslagern 1945 nach Augsburg zurückkehren, Annas Vater und zwei Brüder von Josef Pröll waren ermordet worden.

 

Anna selbst wurde zur Zwangsarbeit in Augsburg verpflichtet, ihre Kontakte zur Münchner Widerstandsgruppe „Hartwimmer-Olschewski“ blieben unentdeckt. Als sie im Frühjahr 1945 als Flakhelferin eingezogen werden sollte und ihr auch eine neue Verhaftung drohte gelang es ihr unterzutauchen.

 

 

 

Nach der ersehnten Befreiung von der nationalsozialistischen Diktatur wurde das Leben nicht einfacher für die Familie Pröll. „Menschen wie meine Eltern wurden Jahrzehnte danach noch diffamiert und beleidigt, weil sie „KZ-ler“ waren, schrieb der 1953 geborene Sohn Josef später. „Sie haben nach 1945 in ihrer Heimatstadt (Augsburg) keine Arbeit und keine Wohnung erhalten“. So war es nicht verwunderlich, dass ihre emotionale Heimat der Kreis der ehemals Verfolgten blieb, die Vereinigung der Verfolgten des Nazi-Regimes-Bund der Antifaschisten sowie die Organisationen der Überlebenden, die in den Frauen-Konzentrationslagern Moringen und Ravensbrück gelitten hatten.

 

Anna und Josef Pröll blieben der kommunistischen Partei treu, setzten sich aber auch im Rahmen der Gewerkschaft gegen die Wiederbewaffnung der Bundesrepublik und für Demokratie und ein friedliches Zusammenleben ein. Und natürlich war ihnen die Bewahrung der Erinnerung an die Ermordeten immer ein wesentliches Anliegen.

 

 

 

Annas „Karriere“ als Zeitzeugin und öffentliche Berichterstatterin über ihr eigenes Schicksal begann im Jahr 1985, ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes. Etwa gleichzeitig ist der Beginn des gesellschaftlichen Wandels zu datieren, der allmählich ein breites öffentliches Interesse an der nationalsozialistischen Vergangenheit und den noch lebenden Zeugen entstehen ließ. Anna Pröll wurde zur gesuchten Gesprächspartnerin vor allem für junge Menschen, die ihre persönliche Geschichte hören wollten. Schließlich fand gerade auch das spezifische Schicksal von Frauen als Opfer der des nationalsozialistischen Terrors ein zunehmendes Interesse. Als ihr Sohn Josef im Februar 2002 seinen Dokumentarfilm über das Leben seiner Mutter „Anna ich hab Angst um Dich“ in Augsburg vorstellte, gewann sie noch einmal an Bekanntheit auch weit über Augsburg hinaus.

 

 

 

 

 

 

 

Die politische Landschaft der Bundesrepublik Deutschland hat sich verändert seitdem wir Anna Pröll vor zwölf Jahren zu Grabe getragen haben. Eine rechtsextreme Partei die sich „Alternative für Deutschland“ nennt ist in den Deutschen Bundestag und inzwischen in alle Länderparlamente eingezogen  – seit kurzem auch hier in Bayern. Eines ihrer Ziele besteht darin die Geschichtspolitik zu verändern und vor allem die Erinnerung an die nationalsozialistische Vernichtungspolitik auszulöschen. So forderte der Thüringer Vorsitzende dieser Partei, Björn Höcke, im Januar 2017 eine erinnerungspolitische Kehrtwende um 180 Grad und bezeichnete das Berliner Denkmal für die ermordeten Juden Europas als ein „Denkmal der Schande“. Der Sprecher der Partei und Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag Alexander Gauland nannte die nationalsozialistische Diktatur am 3. Juni 2018 einen „Fliegenschiss in über tausend Jahren erfolgreicher deutscher Geschichte“. Und mit Beginn dieses Schuljahres richtete die AfD in mehreren Bundesländern Online-Portale ein, auf denen Schüler und Eltern melden sollen, wenn Lehrer im Unterricht gegen die Partei Stellung beziehen. Denunziationen und Mobbing von Lehrern sind bereits jetzt die Folge. Die Zivilgesellschaft und als dessen Teil auch die Bildungseinrichtungen unseres Landes sind gefordert sich dieser Entwicklung entgegen zu stellen.

 

 

 

Die Mittelschule Gersthofen wurde im Mai 2018 bereits mit dem Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ ausgezeichnet. Zusammen mit der heute vollzogenen Namensbenennung nach Anna Pröll bedeutet dies für alle, die Teil dieser „Schulfamilie“ sind auch Verantwortung für die Verteidigung demokratischer Werte zu übernehmen.

 

 

 

Anna Pröll war im Alter der Schüler und Schülerinnen, die heute diese Schule besuchen als sie im Kampf gegen die Diktatur ihr Leben eingesetzt und einen hohen Preis dafür bezahlt hat. Bis ins hohe Alter hat sie sich verpflichtet gefühlt, ihre Erfahrungen an junge Menschen weiterzugeben um einen Rückfall in die Barbarei zu verhindern. Sie hätte sich über die Ehrung, die mit dieser Namensbenennung verbunden ist, gefreut und sicher gehofft, dass damit ihre Botschaft über ihren Tod hinaus in die Zukunft getragen wird.

 

 

 

Barbara Distel