Rede, Josef Pröll aus Anlass der Umbenennung der Mittelschule in Gersthofen
am 19.11.2018:

 

 

 

 

 


Nichts ist schwerer - und nichts erfordert mehr Charakter,
als sich - im offenen Gegensatz
zu seiner Zeit zu befinden

 

Und laut zu sagen: "NEIN"

Diese Worte hingen bei meiner Mutter in der Wohnung.
Kurt Tucholsky hat sie geschrieben, einer der großen deutschen Dichter und Denker, dessen Werke von den Nazis verbrannt wurden.

Dieser Text passt gut zu meiner Mutter, unserer Großmutter und Urgroßmutter die ein wahrlich spannendes, unruhiges und ereignisreiches Leben hatte.
langweilig wurde es ihr bestimmt nicht und auf manche Erfahrungen
hätte sie sicher auch gerne verzichtet.

Frieden, Gleichberechtigung und der Wunsch, dass die Würde des Menschen unantastbar wird, waren für sie wichtige Lebensziele.
 

 

"Immer Mensch bleiben, lieber mal einen Fehler machen als gleichgültig zu werden. So kann man sich täglich im Spiegel wieder begegnen",
gehörte zu ihren Lebensprinzipien.
 

 

Oft wurde sie gefragt, "wo hast Du denn deinen unbeschreiblichen Mut hergenommen". Ich habe nach meinem Bauchgefühl gehandelt",
antwortete sie.

 

Damit entscheidest du, für dich, in dem Moment, in dieser Sekunde, ob du wegschauen oder weghören wirst, oder ob du zu dem Entschluss kommst, sich einzumischen und zu handeln.
Annas politische Einstellungen festigten sich während ihrer Haft, als sie das Naziregime in seiner brutalsten Form kennenlernte.

Als die 17-jährige Anna verhaftet wurde, waren ihre Eltern schon im Gefängnis.

 


Die mit Augsburg tief verwurzelte Familienmitglieder waren als Sportler des Turn- und Sportvereins Augsburg Pfersee sehr bekannt. Die meisten waren Weber oder Webermeister und wurden ab 1933 wie Verbrecher verfolgt.

 


Dabei war es keine plötzliche Veränderung die da vor sich ging. Es war ein schleichender Prozess von der Weimarer Republik zum Naziregime.
Zuerst veränderte sich damals die Sprache, dann verstärkte sich der Hass. Aus menschenverachtender Sprache und Hass wurde Zerstörung.
"Dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende Menschen", schrieb Heinrich Heine.
Leider wurde das Unvorstellbare wahr.

Über 30 Jahre waren Anna, ihr Vater, ihre Mutter, ihr späterer Mann Josef und seine Brüder zusammengenommen in
Zuchthäusern und Konzentrationslagern.

Ihr Vater wurde ermordet.
Auch Alois und Fritz Pröll überlebten das Naziregime nicht. Fritz Pröll starb im unterirdischen KZ Mittelbau-Dora, in dem Wernher-Von-Braun seine Raketen, Hitlers sog. Wunderwaffe, von KZ-Häftlingen bauen ließ.
Maria Pröll, die Mutter der Prölls starb 1944 beim Bombenangriff in Augsburg.

Sie standen, so wie viele andere auch, im Gegensatz zu einer unmenschlichen Gesellschaft und hatten den Mut "NEIN" zu sagen. Das war ihr Verbrechen. Zivilcourage ist das Eine - aber diesen Mut zu zeigen und zu wissen, dass ich dafür auch getötet werden kann, ist das Unvorstellbare.
 

 

Leider waren solche Menschen damals in der Minderheit. Die meisten Deutschen haben das Naziregimes getragen und unterstützt.

Für Anna war es, nach 1945, eine schreckliche Lehre, zu erkennen, dass es für sie und ihre Familie Jahrzehnte dauern würde, bis sie wieder in die Gesellschaft integriert wird.
Zu groß war der Riss zwischen Mitläufern, Tätern und Opfern. Zu groß war der Riss gegenüber denen, die später behaupteten, keine Verantwortung tragen zu müssen, weil sie nur ausgeführt haben, was ihnen befohlen wurde.

Es ist für mich nicht vorstellbar, was in einem Menschen vorgehen muss, der erlebt, dass Mörder und Verantwortliche, die so vielen Menschen unbeschreibliches Leid zugefügt haben, einfach,
oft im gleichen Ort,
nach 1945,
wieder öffentliche Ämter innehaben konnten, während ihre Opfer oft zu unbequemen Nestbeschmutzern degradiert wurden.

Bis 1985 dauerte es, bis unser damaliger Bundespräsident Richard von Weizäcker (CDU) seine berühmte Rede zum 40zigsten Jahrestag der Befreiung, im Deutschen Bundestag, hielt.

Er sagte unter anderem:

 

"Als Deutsche ehren wir das Andenken der Opfer des deutschen Widerstandes, des bürgerlichen, des militärischen und glaubensbegründeten, des Widerstandes in der Arbeiterschaft und bei Gewerkschaften, des Widerstandes der Kommunisten."

 

(Zitatende)

 

 

 

Diese Worte kamen eigentlich 40 Jahre zu spät.

 


Nochmal,- fast 20 Jahre später -, erhält Anna das Bundesverdienstkreuz und wird Ehrenbürgerin der Stadt Augsburg. Nach 215 Jahren wieder die erste Frau, die in Augsburg als Ehrenbürgerin ausgezeichnet wird.

Ich freue mich, im Namen unserer Familie, dass diese Schule nach Anna Pröll benannt wird.
 

 


Ich möchte mich bei allen bedanken, die diesen Prozess in Gang gesetzt- und mitdiskutiert haben. Besonders bei Dr. Bernhard Lehmann,
er hat Ende der 1980ger Jahre,
Anna zum ersten Mal ins Gersthofer Gymnasium eingeladen. Sie kam damals begeistert nach Hause und sagte "es war doch nicht umsonst".
Sie wurde eine gefragte Zeitzeugin, weit über die Grenzen Augsburgs und Bayerns hinaus.
Frau Puschner, die in einem Zeitungsartikel 2013 erwähnt, Zitat: "Die neue Mittelschule könnte nach Anna Pröll benannt werden, damit werden wir der Widerstandskämpferin aus der Region gerecht und hätten endlich auch eine Schule in Gersthofen, die den Namen einer Frau trägt".

Ich beglückwünsche Sie ganz besonders auch deshalb, weil der Prozess der Namensgebung durch die Schulfamilie und den Gersthofer Stadtrat ein Jahr lang Diskussionen und inhaltliche Auseinandersetzungen erforderte.
 

 

Wir wissen heute alle: die Grundlagen zu Meinungsbildern, zum Rechtsextremismus, der grundlegende Umgang zwischen uns Menschen, zwischen den Geschlechtern, der Gleichberechtigung und einer menschlichen oder unmenschlichen Sprache - diese Grundlagen werden zuerst in der Familie geschaffen.

Hier ist der Ansatz, hier entscheidet sich das Verhalten für das weitere Leben. Die Schule kann einen ergänzenden Beitrag dazu leisten. Die Schulfamilie ist also die nächste Stufe die Verantwortung trägt. Aber wir, als Gesellschaft insgesamt entscheiden letztendlich, mit unseren Kindern gemeinsam, wie die Zukunft unseres Landes gestaltet wird und aussehen soll.
Dies in einer Zeit, in der unsere Demokratie, die durchaus noch in vielen Dingen verbessert werden kann, in Gefahr ist, wie noch nie seit 1945.

 

 

 

 

 

Was wir dringend brauchen ist
-eine neue Streitkultur mit menschlichem Umgangston,
-eine ehrliche, offene Politik und ein Leben das sich nicht nach Konsum und Ellenbogendenken ausrichtet.

Dazu brauchen wir keine Populisten, keinen Rechtsextremismus oder neue Nazis.
Keiner von uns ist verantwortlich für das was geschehen ist bis 1945. Aber jede und jeder trägt Verantwortung für die Gegenwart, und die Zukunft.

Lasst uns streiten, lasst uns diskutieren, helft alle mit die Demokratie zu erhalten und lebendiger werden zu lassen um eine friedliche liebenswerte Gesellschaft zu gestalten.

Wenn sie das zulassen, kann eine Anna-Pröll-Schule viel dazu beitragen. In diesem Sinne wünsche ich der Schule, den Lehrerinnen und Lehrern, den Schülerinnen und Schülern für die Zukunft alles Liebe und Gute.

 

 

Dankeschön